Die Kraft der Daten: Warum wir die Wissenschaft brauchen, um die Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt zu lösen
– Dr. Sandra Zimmermann, Head of International Social Policy WifOR Institute
In den Sitzungssälen der Politik und Wirtschaft zählen schnelle Erfolge. Dies führt zu kurzen Planungshorizonten, die häufig nicht länger sind als die eigene Amtszeit. Investitionen in langfristige Lösungen für Megatrends wie den demografischen Wandel wirken im Vergleich zu Steuergeschenken und kurzfristigen Renditen wenig attraktiv. Das Problem: schon heute fehlen dem deutschen Arbeitsmarkt mehr als eine halbe Millionen Fachkräfte – und die Lücke wird sich unseren Hochrechnungen zufolge ohne gezielte Maßnahmen bis 2030 auf fünf Millionen verschärfen. In der Arbeitsmarktforschung kündigt sich diese Differenz aus Angebot und Nachfrage längst an. Die gute Nachricht: Es gibt wissenschaftliche Lösungsmodelle, um diesem Engpass entgegenzuwirken.
Der erste wesentliche Schritt ist ein Perspektivwechsel. In der Vergangenheit hatten Arbeitgebende die Wahl aus potenziellen Arbeitskräften, die auf festgeschriebene Profile passten und bereit waren zu den Bedingungen der Unternehmen zu arbeiten. Diese Marktmacht hat sich heute jedoch zugunsten den Arbeitnehmenden verändert. Durch den demografischen Wandel scheiden die Babyboomer zunehmend aus dem Arbeitsmarkt aus, während immer weniger Arbeitnehmende nachkommen – die zudem neue Bedürfnisse haben. Dies führt zu einem Paradigmenwechsel auf dem Arbeitsmarkt: Während Mitarbeitende in der Vergangenheit vor allem als Ressourcen betrachtet wurde, stehen auf dem Arbeitsmarkt 5.0 die Menschen im Fokus. Da Talente knapp geworden sind, müssen sie auch der Ausgangspunkt sein, um zielgerichtete Strategien für einen erfolgreichen Arbeitsmarkt formulieren zu können.
Fachkräfteanalysen: Angebot und Nachfrage quantifizieren
Fachkräfteanalysen sind ein wesentlicher Baustein für gezielte Maßnahmen. Die Berechnungen können mehrere Jahre im Voraus zeigen, wo Engpässe und Überschüsse in einzelnen Fachbereichen, Regionen und Branchen entstehen werden. Dieser Wissensvorsprung ermöglicht nachhaltigere Entscheidungen – beispielsweise zum idealen Rekrutingzeitpunkt, Standort oder in welche Ausbildungsmaßnahmen Unternehmen besonders investieren sollten.
Kompetenzanalysen: Perspektiven für lebenslanges Lernen
Die Entwicklung und Förderung relevanter Kompetenzen ist ein weiterer Schlüsselfaktor für den Arbeitsmarkt der Zukunft. Die Arbeitsmarktforschung kann die Kompetenzen identifizieren, die in Zukunft gefragt sein werden und unterstützt Unternehmen dabei, ihre Personalentwicklungsstrategien entsprechend anzupassen. Zudem lassen sich Übergangspfade für Mitarbeitende definieren, die in Bereichen arbeiten, die künftig nicht mehr gefragt sein werden. Durch eine gezielte Ausrichtung von Aus- und Weiterbildungsprogrammen auf die zukünftigen Kompetenzanforderungen können Unternehmen sicherstellen, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen, um den Anforderungen des sich wandelnden Arbeitsmarktes gerecht zu werden.
Arbeitgeberattraktivität: Die entscheidenden Kriterien aus Sicht der Arbeitnehmenden
Da immer mehr Unternehmen um weniger potenzielle Arbeitnehmende konkurrieren, ist es wichtig zu wissen, was aus Sicht der (potenziellen) Arbeitnehmenden einen attraktiven Arbeitgebenden ausmacht. Zwar haben viele Arbeitgebende eine Vorstellung von den relevanten Attraktivitätskriterien. Doch unsere Studien zeigen, dass sich Unternehmen meist nicht auf die entscheidenden Kriterien fokussieren. Zum Beispiel zeigte eine unserer Studien zur Attraktivität der Pflegebranche in Bayern, dass anstelle monetärer Anreize das Verhalten der Führungskräfte deutlich wichtiger für die Zufriedenheit der Mitarbeitenden ist.
Von tradierten Profilen zu diversen und inklusiven Teams
Viele Unternehmen haben sich auf tradierte Profile festgelegt. Beispielsweise sind viele Stellen in Vollzeit ausschreiben mit perfekten Deutschkenntnisse als Grundvoraussetzung – selbst wenn diese Kriterien für die Stelle an sich nicht notwendig sind. Zum einen ist so der Kreis an potenziellen Bewerbenden stark eingeschränkt. Zum anderen hat die Arbeitsmarktforschung gezeigt, dass diverse Teams innovativer und resilienter sind. Maßnahmen, die Chancengerechtigkeit und die Teilhabe von Mitarbeitenden fördern, verbessern zudem die Bindung ans Unternehmen. Durch den Einsatz von datenbasierten Analysen können Unternehmen ihre DEI-Initiativen gezielt vorantreiben und sicherstellen, dass ihre Mitarbeitenden ihr volles Potenzial entfalten können.
Der Wirtschaftsgipfel Deutschland 2023 am 14. Juli bietet eine wertvolle Plattform, um diese Themen zu diskutieren und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Es ist von großer Bedeutung, dass Politik, Unternehmen, und Wissenschaft gemeinsam daran arbeiten, den Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt mit fundierten Erkenntnissen und datengestützten Strategien zu begegnen. Nur so können wir eine nachhaltige und erfolgreiche Zukunft der Arbeit gestalten.